Aufforderung zur Liebe

Liebe Schwestern und Brüder!
Wann haben sie sich zuletzt für andere interessiert?
Für Fremde oder für ihren Partner? Ihre Partnerin? Dieser Frage sollten wir uns heute stellen.
Die Zustände in der Welt zu beklagen hilft uns nicht weiter.
Es lähmt uns nur Gutes zu tun.
Wir Menschen brauchen Geschichten. Geschichten, wie andere Menschen trotz überbordender Katastrophen- und Kriegsnachrichten leben und überleben.
Wir brauchen diese Geschichten, um Mitgefühl zu entwickeln; um die Welt und das Leben mit den Augen anderer zu sehen. Geschichten können Sinn stiften und Gemeinschaft. Sie sind der Kleber, der Familien, Freundeskreise und ganze Gesellschaften zusammenhält.
Geschichten können Halt geben. Klingt einseitig, ist aber an das Interesse für andere gebunden. Für solche, denen wir zum ersten Mal begegnen, ebenso wie für die, mit denen wir Jahrzehntelang zusammenleben und von denen wir meinen, „eh alles zu wissen“.
Die Geschichte die wir heute zu hören bekamen ist so eine, sie lässt aufhorchen und klopft an unser Gewissen. Die Geschichte schaut zwar auf die drei Reisenden und geht mit ihnen von Jerusalem nach Jericho. Geschildert wird, wie sich die drei verhalten. Der Gegensatz zwischen den beiden Priester und Levit und dem Samariter könnte kaum größer sein.
Der Priester sah die Not und ging weiter, der Levit sah die Not und ging weiter...
Ganz anders kommt uns da das Verhalten des barmherzigen Samariters, der Fremde und Andersgläubige, entgegen. Die Samariter galten ja als abtrünnig und feindlich. Dieser Fremde sah den Mann der überfallen worden war, und hatte Mitleid mit ihm. Er unterbrach die Reise und kümmerte sich um den Verletzten.
Mit einem Blick erkennt er, was Sache ist, was notwendig, sprich: Not-wendend ist. Er wendet sich zu. Er verbindet. Und zwar in doppelter Hinsicht: er verbindet die Wunden des Opfers und er verbindet sich zwischenmenschlich mit ihm.
Er sorgt sich und versorgt. Aus seinem Handeln spricht keine Gleichgültigkeit – wie bei den beiden anderen, die vorüber gehen, sondern Barmherzigkeit.
Er hat Mitleid. Wörtlich übersetzt müsste es heißen. Es ging ihm an die Gedärme.
Es ging ihm an die Nieren. Es ging ihm zu Herzen.
Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, um einmal einen Moment innezuhalten.
Denn diese Frage;Wer ist mein Nächster? bzw. Wem bin ich zum Nächsten geworden? Steht nach wie vor im Raum. Überlegen wir einmal kurz:Bin ich für den zum Nächsten geworden, der in Not war? Hatte ich in den vergangenen Tagen und Wochen eine Begegnung, die mir zu Herzen gegangen ist, mich tief betroffen gemacht hat?
Oft sind wir gefangen in unseren Handlungsabläufen, in unseren Gewohnheiten, dass wir den Blick auf den verlieren, der im Moment meine Zuwendung und Hilfe braucht.
Wir sind so sehr mit Lösungen unserer eigenen Probleme beschäftigt, dass wir gar nicht auf den Gedanken kommen, jemand könnte vielleicht noch größere Sorgen haben und in größeren Problemen stecken.
Unterwegs in den Straßenbahnen der großen Städte in Europa scheinen alle nur auf ihr Smartphone zu starren. Sie sind virtuell mit vielen Menschen in Kontakt, aber in der realen Welt finden kaum echte Begegnungen statt. Haben wir es verlernt, einander wahrzunehmen? Das Evangelium will uns daran erinnern, dass Gott „alles neu machen“ kann.
Das Beispiel des barmherzigen Samariters will unseren Blick wieder weiten. Er will unser Herz wieder weit machen, damit wir auch die Sorgen, Fragen und Nöten unserer Mitmenschen an uns heranlassen-in einer Gesellschaft, die immer egoistischer, immer selbst verliebter zu werden scheint.
Aber im Zentrum stehen nicht die drei Reisenden, sondern der Geschlagene, Verwundete und Ausgeraubte. Um seine Wunden und seine Heilung geht es.
Der Überfallene und seine Not haben Priorität.
Jesus rückt den Überfallenen und Verwundeten in den Mittelpunkt und verlangt von seinem Gesprächspartner mit dessen Augen das Geschehen zu betrachten.
Nur die Barmherzigkeit zählt – für den Verwundeten, für die anderen Reisenden, für uns.
Wenn wir lernen wollen, barmherzig zu sein, wie es der Vater ist, so sollten wir also auf Jesus schauen. In Ihm zeigt sich die ganze Liebe des Vaters...Die Liebe findet ihren höchsten Ausdruck in der Barmherzigkeit. Sie gibt allem anderen Sinn...Die Barmherzigkeit hilft uns, die Menschen immer wieder mit neuen Augen zu sehen: im Partner, in der Familie, in der Schule, bei der Arbeit, in der Fremde... Sie tilgt die Erinnerungen an die Schwächen und Fehler. Sie macht es möglich, nicht zu verurteilen, sondern das Unrecht zu verzeihen, das wir erlitten haben.
Am Ende des Gleichnisses steht eine klare Aufforderung: „ Geh und handle du genauso!“ Das sagt Jesus auch uns und jeden Menschen, der ihm folgen will: Erweise dich als Nächster, hab Mut, die Initiative zu ergreifen und auch die Wunden der Menschen zu sehen, die dir begegnen.
Amen.