Mache weich, was spröd und hart
„Waffenlieferungen in die Ukraine“ sind auch so ein Thema. Die einen meinen, es wäre ein Akt der Solidarität. Die anderen meinen, es werde damit der Krieg nur verlängert. Da prallen oft Meinungen sehr hart und unerbittlich aufeinander.
Was ist der Hintergrund für diese Verhärtungen?
Wir leben schon seit vielen Generationen in einer Gesellschaft, die viel von uns abverlangt. Ja freilich, die kapitalistische Wirtschaftsweise, in der wir leben, hat - in unseren Breiten - unglaublichen Wohlstand gebracht. Gleichzeitig hat sie große Ängste produziert: Angst vor Armut und Elend, Angst vor dem Nicht-mehr-Mitkönnen, Angst vor gesellschaftlichem Ausschluss. Der kapitalistische Deal ist: „Du musst funktionieren. Dafür wirst du mit - mehr oder weniger - Konsum belohnt.“
Dieser Deal war immer schon fragwürdig und galt (global gesehen) nur für eine kleine Minderheit. Nun droht er ganz zu platzen. Denn wir werden als globale Gemeinschaft unsere gewohnte Lebensform – ob wir wollen oder nicht – so nicht mehr lange weiterführen können. Denn wir zerstören damit den Boden, auf dem wir stehen. Pandemien, Klimakatastrophen, Verknappung bei Erdöl und Erdgas oder die wachsende Ungleichheit sind Vorboten der unbequemen Botschaft: „So geht’s nicht mehr weiter!“
Sind wir gefangen im System?
Ich fürchte, ja. Für das Verständnis der aktuellen Situation scheint es mir wichtig anzuerkennen, dass es in der Essenz unseres kapitalistischen Geldsystems liegt, dass es sich immer weiter ausdehnen MUSS. Wenn sich das Geld/Kapital, das wir kennen, nicht vermehren kann, wird es zurückgehalten. Das soll und will in der Logik des Geldes mit allen Kräften vermieden werden.
Meines Erachtens sind nicht einzelne Menschen oder Regierungen böse, sondern das System, in das wir alle verstrickt sind: auch Sie und ich!
(Natürlich wäre auch ein anderes Geldsystem vorstellbar (vgl. das „Wunder von Wörgl“). Doch wir können es kaum denken, weil wir psychologisch in den „Bann dieses Geldes“ geraten sind. Diesbezüglich sind wir in einer kollektiven Hypnose gefangen.)
Wie sind die aktuellen Ereignisse wie Corona-Krise, Ukraine-Krieg oder Klimaerhitzung zu deuten?
Ich sehe in ihnen eindeutige Vorboten eines fundamentalen Systemwandels. Dieser Wandel wird die Welt, so wie wir sie kennen, grundlegend verändern. Das erzeugt natürlich Ängste. Ein altbewährter Reflex gegen Angst ist die Verlagerung nach außen. Dann sind andere Menschen und Mächte schuld: die Politiker*innen, die Regierung, die Pharmaindustrie, Putin und die Russen, usw.
Natürlich haben die alle einen Anteil an den aktuellen Entwicklungen, weil sie Teil des Systems sind. Doch die bittere Wahrheit ist: Auch wir sind Teil des Systems, wir sind in vielerlei Hinsicht mit diesem System verstrickt: mit unserer Wohn- und Arbeitsformen, mit unseren Beziehungen, ja mit unser gesamten Weltsicht. Und dieses System kommt immer tiefer in eine fundamentale Krise.
Was ist zu tun?
Nun, ich denke, es gilt sich einzugestehen, dass es völlig normal ist, dass man in einer solch fundamentalen Krise mit Ängsten konfrontiert ist. Es ist völlig normal, dass auch in uns Ängste entstehen; auch in unseren Mitmenschen. Diese Ängste sind meist unbewusst, doch sie leiten unsere Gespräche und unser Verhalten.
Aus der gewaltfreien Kommunikation (nach Marshall Rosenberg) hat sich ein 4-Schritt in bewährt.
1. Wahrnehmung: Unsere Wahrnehmung ist immer subjektiv. Freilich kann und soll man sich bemühen, wissenschaftliche Fakten zu studieren. Doch alles Wissen wird immer subjektiv geprägt sein.
2. Emotionen: Alles, was wir wahrnehmen, erzeugt in uns Emotionen; zum allergrößten Teil sind sie unbewusst. Es kann in der Kommunikation sehr hilfreich sein, die eigenen Emotionen offen zu legen und im Gespräch mit anderen versuchen, deren Emotionen zu erspüren und anzusprechen.
3. Bedürfnisse: Wir alle haben viele Bedürfnisse. Im Wesentlichen wollen wir – gemeinsam mit vielen anderen Menschen – ein gutes Leben führen, in dem wir uns geliebt wissen und unsere Potenziale entfalten können. Wenn wir Emotionen gut beachten, machen wir uns auf die Spur nach unseren wahren Bedürfnissen.
4. Wünsche: Natürlich können und sollen wir uns von anderen etwas wünschen; am besten möglichst konkret. Aber Wünsche dürfen niemals zu Forderungen verkommen.
Ist gewaltfreie Kommunikation einfach?
Nein, das glaube ich nicht. Denn wir sind alle in einer Welt groß geworden, in der Emotionen wenig Platz hatten. Wir haben gelernt, die Welt in „richtig“ und „falsch“ bzw. „gut“ und „böse“ einzuteilen. Wir haben gelernt, uns im gefühlskalten Konkurrenzmodus gegen andere durchzusetzen; frei nach dem Motto „Wer härter ist, gewinnt!“ Das ist die kapitalistische Logik.
Also fällt es – gerade Männern – oft schon verdammt schwer, eigene Emotionen wahrzunehmen; geschweige denn, diese auch auszusprechen. Es gilt jedoch zu verstehen, dass hinter Sachargumenten, wie fundiert sie auch immer sein mögen, ganz häufig Emotionen stehen. Äußere Faktoren wie Ukraine-Krieg, Impfung oder Teuerung entfachen diese Emotionen. Also wäre es sehr hilfreich, diese Emotionen und Ängste in uns und in den anderen wahrzunehmen.
Was kann wirklich helfen?
„Nur die Liebe kann uns retten!“(©Songtitel von Nena): Zuallererst geht es um die Liebe zu sich selbst. Es gilt, einen liebevollen Umgang mit sich selbst zu entwickeln. Dazu gehört auch, dass man sich eingesteht, dass die gesellschaftliche Transformation, die uns bevorsteht, auch in uns selbst Ängste hervorruft. Wenn uns das – immer besser – gelingt, werden wir auch automatisch einen liebevolleren Umgang mit den anderen und unserer Natur entwickeln.
Im bekannten Pfingstgebet „Veni sancti spiritu“ wird der Heilige Geist erbeten, u.a. um alles weich zu machen, was spröd und hart geworden ist. Das könnte ein schönes Motto für den Umgang mit Verhärtungen in unserer Gesellschaft sein. Diese Verwandlung kann meines Erachtens nur dann gelingen, wenn dieser Prozess in uns selbst beginnt.
Markus Pühringer
Supervisor, Coach und Referent für Citypastoral